Henze und Montepulciano

Am Montag, 28.09.2020 gaben der italienische Regisseur Carlo Pasquini und Erdmuthe Brand, Übersetzerin und Geschäftsführerin der Akademie für Musik und Darstellende Kunst im Palazzo Ricci, einen Einblick in die Bedeutung, die der deutsche Komponist Hans Werner Henze für Montepulciano – aber auch für den Lebensweg vieler Einwohnerinnen und Einwohner des Ortes hatte. Zur Nacharbeitung lohnt sich Henzes Text über die Kunstwerkstätten von Montepulciano (zu finden unter Ilias)!

Foto: Archiv Carlo Pasquini

Wochenkarten aus dem Café

Immer noch schmackhaft … Die Vorschläge der letzten „Wochenkarten“ aus dem Café:

Wochenkarte vom 18.09.-02.10.2020

Zum Hören:
Klangkunst von der italienischen Vokalistin Alexandra Eramo

Zum Hingehen oder Fahren:
Ausstellung „I will survive“ von Hito Steyerl im K21 in Düsseldorf

Zum Hinfahren:
Opernbesuch trotz Corona: Der italienische Komponist Carlo Ciceri hat eine pandemiegerechte musikalische Neufassung der Oper „La Traviata“ erarbeitet, die in der Inszenierung von Bruno Klimek ab dem 19. September im Staatstheater in Kassel zu sehen ist.

Wochenkarte vom 11.09.-18.09.2020:

Zum Hören:
Die Künstlerin Diana Lelonek, die in ihren Arbeiten die Beziehung zwischen Menschen und anderen Spezien untersucht, hat sich im Rahmen einer Residenz beim Culturescapes Festival in Basel im Jahr 2019 mit dem Soundkünstler und Komponisten Denim Szram mit dem Verschwinden der Alpengletscher beschäftigt. Grundlage der Zusammenarbeit waren Tonaufnahmen der Gletscher Rhone, Aletsch und Morteratsch, die Szram in eine Art Symphonie des Verschwindens verwandelt hat. Entstanden ist eine Multikanal-Installation für leere Ausstellungsräume: Der klassische „white cube“ des Ausstellungsraumes wird ganz bewusst nicht mit Objekten, sondern allein mit dem Sound gefüllt – und hinterlässt auch die Frage: Was bleibt übrig?

Zum Mitmachen:
Wie werden Menschen in hundertfünfzig, dreihundert oder tausend Jahren unser heutiges Leben beurteilen? Wird es von den Dingen, die virtuell/digital passieren, Spuren geben? Was wird von ungedruckten Fotos, digitalen Videos und Sounds unseres Alltags, oder von den digitalen Künsten noch zu sehen sein? Und welche Überlieferung wird davon bleiben, wie die Pandemie seit dem März 2020 in das Leben der Menschen eingegriffen hat? Wissenschaftler*innen der Universitäten Hamburg, Bochum und Gießen haben zur Bildung einer solchen Überlieferung ein Corona-Archiv ins Leben gerufen: Jede*r kann sich beteiligen und zur Geschichtsschreibung beitragen, indem Erlebnisse, Gedanken, Medien und Erinnerungen zur Corona-Krise in das digitale Archiv in Form von Fotos, Bilder, Videos, Audios, Textdateien hochgeladen werden. Und mit der Breite des Aufrufs wird auch direkt ein Problem deutlich: 3172 „Objekte“ wurden Stand 10.9. hochgeladen. Was aber davon in 150/300/1.000 Jahren für die Forschung noch sichtbar sein wird, beantwortet das Archiv (noch) nicht …

Zum Lachen (oder Aufregen …):
Das so genannte „Mansplaining“ hat sicherlich Jede*r schon einmal erfahren: Männer, die vor allem Frauen (aber auch anderen Männern) die Welt erklären und sich bevorzugt in Unterhaltungen, Seminaren oder Konferenzen sozial breitbeinig aufstellen müssen. Die amerikanische Autorin Nicole Tersigni hat im letzen Jahr auf Twitter einen großen Erfolg damit gehabt, altmeisterliche Kunstwerke, die sie durch die Suchanfrage „Frauen umgeben von Männern“ ermittelte, mit brillianten neuen Titeln zu versehen, die dem „Mansplaining“ einen Spiegel vorhielten. Das ganze Projekt ist jetzt von einem amerikanischen Verlag mit dem schönen Titel „Men to Avoid in Art and Live“ als Buch herausgegeben worden und verhilft der Technik der Collage, die schon die Dadaisten liebten und eine schöne interdisziplinäre Methode ist, zu einer neuen Aktualität. Einen Einblick in das Projekt bringt ein Beitrag der Journalistin Ursula Scheer für die FAZ.
Bücher bleiben eben!

Wochenkarte 28.08.-04.09.:

Für die Intellektuellen:
Der emeritierte Professor Hans Ulrich Gumbrecht hat durch einen Gastbeitrag in der Neuen Züricher Zeitung eine Diskussion über die Wirksamkeit und die Bedeutung des Intellektuellen angestoßen. Der Beitrag zeigt einige Facetten zum Selbstverständnis des Intellektuellen.

Für die Ohren:
Diese Debatte wiederum wird in einem Beitrag des Deutschlandfunk Kultur von Milosz Matuschek mit einer Gegenposition befeuert.
Sie findet sich unter dem Titel „Die ängstlichen Intellektuellen“ im Netz und lohnt das Anhören!

Wochenkarte 04.09.-11.09.:

Menü 1 – Sehen:
In Berlin findet noch bis zum 31. August die internationale Zusammenkunft von Tänzer*innen mit dem Titel „Tanz im August“ statt. Es  lohnt sich, einmal zu diesem Festival im Netz zu stöbern. Verschiedene Tanzstile  aus unterschiedlichen Kulturkreisen finden ihre Gestalt und werden zur Diskussion gestellt:

Menü 2 – Hören:
Kann etwas klingen wie zwischen Lüftung und Panflöte? In diesem interessanten Radiobeitrag werden Instrumentenentwickler*innen aus Kalifonien mit ihren Klang-Maschinen vorgestellt und deren Bedeutung historisch eingeordnet. Die Klänge sind vielfältig und regen zur Auseinandersetzung an:

Alles Natur?

„Natur“ ist ein Thema in den bildenden Künsten mit einer Tradition, die so weit zurückreicht, wie die menschliche Kunstausübung selbst. In einem sehr lesenswerten Aufsatz in der Juni-Ausgabe der „Kunstchronik“ hat Hartmut Böhme, ehemals Professor für Kulturtheorie und Mentalitätsgeschichte an der Berliner Humboldt-Universität, das Verhältnis von Mensch und Natur für die aktuelle Kunst hinterfragt. Ist Naturästhetik heute noch von Relevanz in den Künsten? Wie kam es zu dem Verlust der Selbstverständlichkeit, Natur überhaupt „unschuldig“ darzustellen? Böhme geht es in seinem Aufsatz hauptsächlich um eine historische Einordnung der Beziehung zwischen Mensch, „Natur“ und „Kunst“, und die von ihm angeführten Beispiele (u. a. Julian Charrière oder Thomas Windisch) zeigen, auf wie vielfältige Art und Weise Künstler*innen sich bis heute mit der Thematik auseinandersetzen. Aber in diese Überlegungen spielen auch Gedanken ein, die hier im „Labor“ möglicherweise auf fruchtbaren Boden fallen könnten: der Aspekt der Abwesenheit und die Fantasien über utopische Orte. Sehr deutlich arbeitet Böhme nämlich heraus, dass und warum ab einem gewissen Zeitpunkt Zweifel an der Gewissheit des Überlebens der Menschheit angebracht wurden. So ordnet er auch das Gedankenexperiment von Alan Weisman in „The world without us“ 2006 in diese Tradition ein. Denn Fantasien über einen letzten Menschen auf der Erde gab es bereits um 1800, als die Wissenschaft das Artensterben entdeckte. Aber auch die Erkenntnis der Gewalt, die der Mensch an der Natur verübt, und die Gewahrung der Ausbeutung, die er zum eigenen Überleben betreibt (betreiben muss), hatte Auswirkungen auf das menschliche (und künstlerische) Verhältnis zur Natur: Es musste automatisch zu menschlichen Schuldgefühlen angesichts der unauflösbaren Verschiebung des natürlichen (?) Gleichgewichts durch den Menschen führen. Könnte diese spannende Untersuchung über das Verhältnis Mensch-Natur-Kunst für die Beschäftigung mit Abwesenheit oder mit utopischen Orten (eine Welt ohne Menschen?) inspirierend sein? Ein Blick in den Aufsatz lohnt sich sehr!

Kim-Spiele

Schon einmal von „Kim-Spielen“ gehört? Aber alle, die eine Erinnerung an die früher auf Kindergeburtstagen so beliebten Geschmackstest-Spiele (mit verbundenen Augen selbstverständlich) haben, kennen sie. In unserer Ilias-Sammlung zum Thema Wahrnehmung findet sich ein Hinweis auf diese Übung zur Wahrnehmung – und natürlich noch ganz viel anderes „Wahrnehmungsmaterial“ …

Wer …

sind eigentlich die Teilnehmer*innen an diesem besonderen Projekt? Neben den beteiligten Lehrenden stellen wir diese Woche auf unser Teilnehmer*innen-Seite auch einzelne Studierende vor, die sich in wenigen Wochen auf diese besondere Form des interdisziplinären Arbeitens einlassen. Ihr macht auch mit und möchtet genannt werden? Dann meldet euch bei der Redaktion!

Fahrplan?

Gibt es so etwas wie einen Fahrplan für interdisziplinäre künstlerische Forschung ? Auf der digitalen Vorkonferenz am 19. Juni hat Dr. Evelyn Buyken einen solchen in ihrem Vortrag „Von Rändern, Schnittmengen und Perspektiven: Wege interdisziplinären Arbeitens in der künstlerischen Forschung“ versucht aufzustellen: Er beginnt bei „Neugier“, gefolgt von „Moment der Irritation und des Scheiterns, Routinen erkennen“. Wer wissen will, wohin die Fahrt dann weiter führt, kann jetzt auf unserer Ilias-Plattform den gesamten Vortrag als PDF-Datei noch einmal nachlesen.

Foto: Il-Suk Lee, Münster

Hans Werner Henze in: Die Kunstwerkstätten von Montepulciano

In seinem Aufsatz „Die Kunstwerkstätten von Montepulciano“ beschreibt Hans Werner Henze, was ihn nach Montepulciano trieb und was genau er hier vor hatte:

„Ich dachte, es wäre in Montepulciano möglich, zu beweisen, dass Musik nicht abstrakt und nutzlos ist, nicht nur bloßer Zeitvertreib (…).“

„Ich meinte, man müsse nun verschiedene Maßnahmen ergreifen, um sicher zu gehen, dass Montepulciano in nächster Zukunft ein eigenes bodenständiges Kulturleben haben würde, in dem alle, jung und alt, Leidenschaft, oder zumindest Interesse für eine der vielen Formen des künstlerischen Ausdrucks, die in der europäischen Kultur existieren, entwickeln könnten, wenn ihnen nur danach zumute war.“

Hans Werner Henze in: Die Kunstwerkstätten von Montepulciano, 1984


Kolleg

Das Kolleg für Musik und Kunst Montepulciano wurde 2010 als Kooperation der Kunst- und Musikhochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen gegründet. Beteiligt sind an diesem einzigartigen Zusammenschluss die Hochschule für Musik Detmold, die Robert Schumann Hochschule Düsseldorf, die Kunstakademie Düsseldorf, die Folkwang Universität der Künste Essen, die Hochschule für Musik und Tanz Köln, die Kunsthochschule für Medien Köln und die Kunstakademie Münster. Das Kolleg ermöglicht Studierenden dieser Hochschulen in Montepulciano interdisziplinäres, künstlerisches Arbeiten und Forschen, um neue Zugänge zu den Künsten zu erschließen. Die Projekte des Kollegs werden ermöglicht durch Mittel des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und des DAAD.