Muschelkalk

Erst im letzten Jahr machte mich ein Teilnehmer des „Labor der Künste“ auf etwas aufmerksam: Wer in Montepulciano mit wachen Augen unterwegs ist, entdeckt hin und wieder in den Steinplatten des Straßenbelags oder auch auf den Feldern vor den Stadtmauern die Spuren der Bewohner eines riesigen, tropischen Urzeitmeeres, das die Toskana vor 2,5 bis 5,3 Millionen Jahren bedeckte. Es war die andere Blickrichtung (auf den Boden!) der Projektgruppe, die mir diese Wahrnehmung erst eröffnete. Selbst in diesem Jahr, in dem wir nicht in Montepulciano sind, lässt mich die Erkenntnis, dass die Stadt auf einem riesigen Muschelberg steht, irgendwie nicht los. Es erscheint mir logisch, dass die Menschen dort riesige Gewölbekeller anlegten, in dem porösen Stein ging das natürlich gut. Und vielleicht werden diese Keller auch gebraucht, um dem Ort Stabilität zu geben. Ich stelle mir vor, dass die ganze Stadt unterhöhlt sein könnte, mit einem unbekannten, unterirdischem Labyrinth. Und ich erinnere mich an ein Buch, das ich vor einiger Zeit gelesen habe: „Das flüssige Land“ von Raphaela Edelbauer. Es spielt zwar in Österreich, aber auch hier kommt dem Untergrund und dem Aushöhlen eine besondere Rolle zu. Der Ort Groß-Einland, den die Protagonistin, eine Physikerin namens Ruth Schwarz besucht, wird zu einem seltsamen, geheimnisvollen Platz, wo Dinge passieren, die rätselhaft und unklar bleiben. So wie auch die diffuse „Begegnung“ bzw. „Nicht-Begegnung“ mit Montepulciano, die wir in diesem Jahr vielleicht spüren werden. Abwesend und anwesend zugleich …