Gedanken zum Intensiven

Von Axel Kreiser

Wenn ich selbst Intensives erfahren kann, kann ich es auch für andere produzieren? Bin ich als Künstler*in nicht prädestiniert anderen Menschen intensive Momente, große Erfahrungen zu schenken? Ist dies für alle Künstler*innen gleich? Erleben es Musiker*innen und Schauspieler*innen durch Aufführungen nicht viel direkter, als zum Beispiel ein Maler oder eine Dichterin, die selten dabei sind, wenn jemand durch ihre Arbeit einen besonderen Augenblick erfährt? Oder umgekehrt, erleben Künstler*innen, weil sie vielleicht Spezialisten für den erhabenen Moment sind, zwangsläufig auch den Alltag gesteigert? Der Schriftsteller Peter Handke formulierte in seinen Arbeiten die Absicht des gelungenen Tages. Dies meint nicht alleine die Verdichtung konkreter künstlerischer Projekte, sondern das Leben selbst mit seinen banalen oder komplizierten Handlungen soll poetisiert werden.
Zweifelsohne verlangt intensive Erfahrung eine Steigerung von Wahrnehmung sowie erhöhte Achtsamkeit gegenüber allen möglichen subtilen Zeichen und geringen Tätigkeiten. Über die Aspekte des Intensiven sich auszutauschen, Einblicke in Techniken zu bekommen oder über die Notwendigkeit zu persönlicher Haltung zu diskutieren, soll das Themenfeld Intensität bedeuten.

Muschelkalk

Erst im letzten Jahr machte mich ein Teilnehmer des „Labor der Künste“ auf etwas aufmerksam: Wer in Montepulciano mit wachen Augen unterwegs ist, entdeckt hin und wieder in den Steinplatten des Straßenbelags oder auch auf den Feldern vor den Stadtmauern die Spuren der Bewohner eines riesigen, tropischen Urzeitmeeres, das die Toskana vor 2,5 bis 5,3 Millionen Jahren bedeckte. Es war die andere Blickrichtung (auf den Boden!) der Projektgruppe, die mir diese Wahrnehmung erst eröffnete. Selbst in diesem Jahr, in dem wir nicht in Montepulciano sind, lässt mich die Erkenntnis, dass die Stadt auf einem riesigen Muschelberg steht, irgendwie nicht los. Es erscheint mir logisch, dass die Menschen dort riesige Gewölbekeller anlegten, in dem porösen Stein ging das natürlich gut. Und vielleicht werden diese Keller auch gebraucht, um dem Ort Stabilität zu geben. Ich stelle mir vor, dass die ganze Stadt unterhöhlt sein könnte, mit einem unbekannten, unterirdischem Labyrinth. Und ich erinnere mich an ein Buch, das ich vor einiger Zeit gelesen habe: „Das flüssige Land“ von Raphaela Edelbauer. Es spielt zwar in Österreich, aber auch hier kommt dem Untergrund und dem Aushöhlen eine besondere Rolle zu. Der Ort Groß-Einland, den die Protagonistin, eine Physikerin namens Ruth Schwarz besucht, wird zu einem seltsamen, geheimnisvollen Platz, wo Dinge passieren, die rätselhaft und unklar bleiben. So wie auch die diffuse „Begegnung“ bzw. „Nicht-Begegnung“ mit Montepulciano, die wir in diesem Jahr vielleicht spüren werden. Abwesend und anwesend zugleich …

Experimentieren im „SummerLab“

Eine Gruppe von Studierenden der sieben Kunst- und Musikhochschulen NRWs arbeitete im Rahmen des Kolleg-SummerLabs bereits im Juli unter besonderen Bedingungen. Teilnehmer Luis Romero fasst seine Erfahrung so zusammen:

„Das Projekt stellte sich auf unterschiedliche Weise als Herausforderung dar, die unter der Betreuung der Lehrenden aber auch neue Herangehensweisen zu einem interdisziplinären Austausch eröffnete. Besonders faszinierend für mich war die Leichtigkeit wie das Team der Lehrenden und die Studierenden in einen Dialog kamen – und dieser war sehr ernst. Persönlich finde ich gut, dass ich in keinem Moment eine Hierarchie fühlte, ganz im Gegenteil herrschte eine fruchtbare Atmosphäre. Auf weitere Projekten freue ich mich deshalb sehr.“

Einen Zugang zu der während dieser Zusammenarbeit entstandenen Video-Arbeit „Luis und das absolute Vakuum“ (von und mit Luis Romero, Suhyun Park, Jakob Ertl und Insa Schülting) findet ihr im Ilias-Ordner („Interdisziplinäres“)!

Bild: Video-Still aus der Arbeit „Luis und das absolute Vakuum“ (Luis Romero, Suhyun Park, Jakob Ertl und Insa Schülting)

Von Minori Moriyama

Wann nehme ich Neues wahr? Wenn ich mich selbst frage, erinnere ich mich an das japanischen Wort, “暇 (Hima)”. 暇 bedeutet die Zeit, in der man nichts zu tun hat und es einem langweilig ist.

Ich denke, dass Freizeit nie wörtlich Freizeit ist, weil die Leute immer versuchen etwas zu tun, wenn sie Freizeit haben: z.B. reisen, Sport treiben wie joggen, Yoga oder ins Fitnessstudio gehen, oder Freund*innen treffen und mit ihnen etwas unternehmen.

Ich mag gern 暇. Tatsächlich mache ich in dieser Zeit nichts.

Ich sitze oder liege auf dem Bett.

Ich bin wach, doch denke ich an nichts wie bei einer Meditation.

Ich bin nur da und trinke manchmal einen Schluck Kaffee.

In dieser Zeit erhole ich mich gut und kann gleichzeitig gut die Welt wahrnehmen, weil ich automatisch in der Langweile “denke”. Dieses Denken ist ein ganz anderes, als es wenn ich versuche zu denken. Das ist, als ob ein Film auf der Leinwand läuft. Früher nahm ich gar nichts wahr, heute kann ich gut Neues in der Welt wahrnehmen und neue Konzepte erdenken.

暇 ist für mich etwas sehr kreatives.

Das englische Wort „scholar“ und das deutsche Wort „Schule“ stammen aus dem altgriechischen Begriff σχολή (skholḗ), das folgendes bedeutet:
Freizeit, Muße, Ruhe, Pause.

Was mit der Freizeit verbracht bzw. in Zusammenhang gebracht wird, besonders Vortrag, Disputation, Diskussion, Philosophie, wo Vorträge gegeben werden, Schule, Hörsaal. Dadurch kann man sich vorstellen, dass Wissenschaft, Philosophie, Kunst und alle kulturellen Sachen, die vorher gar nicht als Konzept in der Welt existieren, aus der Freizeit geboren sind. Es mag sein, dass man sich während der Freizeit gelangweilt fühlt, deswegen kann man philosophisch oder kreativ aktiv sein, oder aber auch studieren.

Demzufolge mag unser Studium sozusagen ein Zeitvertreib sein.

In der alten Zeit war die Freizeit ein Luxus. Damals hatte man mehr zu tun, um zu überleben.

Im Laufe der Zeit produzierten die Menschen doch immer mehr und mehr Freizeit, indem sie Technologien und Systeme entwickelten. Umso besser nimmt man dabei neue Ideen wahr, nach meiner Theorie.

Aber haben die Menschen heutzutage wirklich “Freizeit”?

Auf jeden Fall habe ich immer 暇, dadurch kann ich Künstlerin sein.

Vielleicht.

Text und Bild: Minori Moriyama

Freie Improvisation

Von Maeva Rabassa

Ich hatte einige kleine Erfahrungen mit freier Improvisation, allein oder mit anderen Menschen. Und mich fasziniert, dass diese Form wirklich Raum für Fantasie lässt. Improvisieren ist jedoch keine einfache Übung, da sie unsere Wahrnehmung der Musik, die wir aus der Kindheit lernen, in Frage stellt. Es ist schwierig, Kontraste zu erzeugen und sich nicht auf statische Dinge einzulassen. Aber Improvisation erlaubt auch, sich auf die Emotionen selbst zu konzentrieren. Meiner Meinung nach können wir uns dank eines Flusses, eines Schattens, eines Timbres usw. ausdrücken und eine Dynamik mit einer Energie geben, auf die wir hin wollen.

Wenn man mit anderen Menschen improvisiert, sind diese Dimensionen umso wichtiger, als wir lernen müssen, zuzuhören, zu fühlen und vor allem auf das zu reagieren, was vorgeschlagen wird. Wir müssen aber auch lernen, unseren Platz einzunehmen und einen Vorschlag zu machen. Meiner Meinung nach ist es ein reichhaltiges Kommunikationsmittel. Ebenso wie bei der Kammermusikarbeit glaube ich, dass die Beteiligten sich verbinden und ihre Partner kennenlernen müssen. Ich denke, Improvisation erfordert Übung und Übung.

Ich habe diese Woche an einem Improvisations- und zeitgenössischen Musikworkshop teilgenommen. Ich habe diese Erfahrung letztes Jahr schon einmal gemacht, aber das Gute ist, dass es nie dasselbe ist. Die Bedingungen ändern sich, und die Menschen auch. Und unsere Gefühle und Emotionen auch. Wir drücken also niemals dasselbe auf dieselbe Weise aus. Meiner Meinung nach macht dies die Improvisation so reich.

Das Verschwinden der Musik

Das Haus der Kulturen der Welt in Berlin veranstaltet von März bis November eine Präsentationsreihe, die im Internet gezeigt wird. Sie heißt „Das Verschwinden der Musik“ und ist hier zu sehen.

Sehr anschaulich wird hier gezeigt, wie die Grenzen zwischen E-  und U-Musik verschwinden. Die Musiker*innen, die präsentiert werden, zeigen in ihren Arbeiten unterschiedliche Positionen und Herangehensweisen an den musikalischen Kontext. Klassische Instrumente treten in den Hintergrund. Desktopmusic und Homerecording im eigenen Wohnzimmer spielen eine wichtige Rolle. Diese Veranstaltung findet im Rahmen von dem Konzept „Das Neue Alphabet“ statt und auch dieses ist einen Blick wert! Inspirationsquellen für neue Fragen zum Geclouden Raum.

#gecloud

Es gibt immer ein Sehen, das sich aus der aktuellen Wahrnehmung speist und unser Erkennen von Welt fördern soll. Schauen wir in die Welt, sehen wir Gleiches, doch nichts ist identisch, Zeit und Raum haben sich im Bruchteil des Erkennens schon geändert. Der Moment existiert nicht mehr, bestenfalls als fixierte Daten, als Bytes und Bits, die eine Software wieder in Farben und Formen dechiffrieren kann. Kann Wasser so grün sein? Ist das Haus dort drüben am anderen Ufer das Haus, in dem ich aufwuchs? Schaut man mein Beispielfoto an, könnte man fragen, warum wurde es gemacht, warum hier gewählt, was soll es bedeuten in diesem Kontext? Man könnte in diesem Text über die Beliebigkeit der Fotos im Datenhimmel, in der Cloud nachdenken. Oder wir könnten über das Jenseits technologiebedingter Medien sprechen. Wir lassen es!