Woanders …

Erstmals fand das „Labor der Künste“ 2020 nicht in Montepulciano statt. Doch was passiert mit dem Labor ohne diesen besonderen Arbeitsort? Sicherlich nicht „Nichts“! Denn auch in diesem Jahr wollten Künstler*innen verschiedenster Gewerke ein gemeinsames, interdisziplinäres Arbeiten erproben. Ob und wie das gelang …? Ausgestattet mit einem inspirierenden Input zum Thema interdisziplinäre künstlerische Forschung startete die Gruppe schon im Sommersemester ein gemeinsames Nachdenken über verschiedene Themenbereiche, die die Lehrenden in die Projektphase anbrachten. Ab dem 28. September begann dann in einer zweiwöchige intensiven Arbeitsphase mit verschiedenen Formaten das Experimentieren in Laboren und Projektgruppen.

Illustration: Nora Prinz

Henze und Montepulciano

Am Montag, 28.09.2020 gaben der italienische Regisseur Carlo Pasquini und Erdmuthe Brand, Übersetzerin und Geschäftsführerin der Akademie für Musik und Darstellende Kunst im Palazzo Ricci, einen Einblick in die Bedeutung, die der deutsche Komponist Hans Werner Henze für Montepulciano – aber auch für den Lebensweg vieler Einwohnerinnen und Einwohner des Ortes hatte. Zur Nacharbeitung lohnt sich Henzes Text über die Kunstwerkstätten von Montepulciano (zu finden unter Ilias)!

Foto: Archiv Carlo Pasquini

Muschelkalk

Erst im letzten Jahr machte mich ein Teilnehmer des „Labor der Künste“ auf etwas aufmerksam: Wer in Montepulciano mit wachen Augen unterwegs ist, entdeckt hin und wieder in den Steinplatten des Straßenbelags oder auch auf den Feldern vor den Stadtmauern die Spuren der Bewohner eines riesigen, tropischen Urzeitmeeres, das die Toskana vor 2,5 bis 5,3 Millionen Jahren bedeckte. Es war die andere Blickrichtung (auf den Boden!) der Projektgruppe, die mir diese Wahrnehmung erst eröffnete. Selbst in diesem Jahr, in dem wir nicht in Montepulciano sind, lässt mich die Erkenntnis, dass die Stadt auf einem riesigen Muschelberg steht, irgendwie nicht los. Es erscheint mir logisch, dass die Menschen dort riesige Gewölbekeller anlegten, in dem porösen Stein ging das natürlich gut. Und vielleicht werden diese Keller auch gebraucht, um dem Ort Stabilität zu geben. Ich stelle mir vor, dass die ganze Stadt unterhöhlt sein könnte, mit einem unbekannten, unterirdischem Labyrinth. Und ich erinnere mich an ein Buch, das ich vor einiger Zeit gelesen habe: „Das flüssige Land“ von Raphaela Edelbauer. Es spielt zwar in Österreich, aber auch hier kommt dem Untergrund und dem Aushöhlen eine besondere Rolle zu. Der Ort Groß-Einland, den die Protagonistin, eine Physikerin namens Ruth Schwarz besucht, wird zu einem seltsamen, geheimnisvollen Platz, wo Dinge passieren, die rätselhaft und unklar bleiben. So wie auch die diffuse „Begegnung“ bzw. „Nicht-Begegnung“ mit Montepulciano, die wir in diesem Jahr vielleicht spüren werden. Abwesend und anwesend zugleich …

Hans Werner Henze in: Die Kunstwerkstätten von Montepulciano

In seinem Aufsatz „Die Kunstwerkstätten von Montepulciano“ beschreibt Hans Werner Henze, was ihn nach Montepulciano trieb und was genau er hier vor hatte:

„Ich dachte, es wäre in Montepulciano möglich, zu beweisen, dass Musik nicht abstrakt und nutzlos ist, nicht nur bloßer Zeitvertreib (…).“

„Ich meinte, man müsse nun verschiedene Maßnahmen ergreifen, um sicher zu gehen, dass Montepulciano in nächster Zukunft ein eigenes bodenständiges Kulturleben haben würde, in dem alle, jung und alt, Leidenschaft, oder zumindest Interesse für eine der vielen Formen des künstlerischen Ausdrucks, die in der europäischen Kultur existieren, entwickeln könnten, wenn ihnen nur danach zumute war.“

Hans Werner Henze in: Die Kunstwerkstätten von Montepulciano, 1984


Kolleg

Das Kolleg für Musik und Kunst Montepulciano wurde 2010 als Kooperation der Kunst- und Musikhochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen gegründet. Beteiligt sind an diesem einzigartigen Zusammenschluss die Hochschule für Musik Detmold, die Robert Schumann Hochschule Düsseldorf, die Kunstakademie Düsseldorf, die Folkwang Universität der Künste Essen, die Hochschule für Musik und Tanz Köln, die Kunsthochschule für Medien Köln und die Kunstakademie Münster. Das Kolleg ermöglicht Studierenden dieser Hochschulen in Montepulciano interdisziplinäres, künstlerisches Arbeiten und Forschen, um neue Zugänge zu den Künsten zu erschließen. Die Projekte des Kollegs werden ermöglicht durch Mittel des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und des DAAD.